Dienstag, März 19, 2024

Als das Bier noch 49 Pfennige kostete

Blomberg (lz). Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank: Wer in den 60er Jahren im Deutschen Haus abstieg, fand in seinem Hotelzimmer genau das vor.

Das WC hingegen musste sich der geschätzte Gast mit all den anderen auf der Etage teilen. Umso üppiger war das, was aus der Küche kam, erinnert sich Horst Tappe.

Der »Fixe«, wie den tatkräftigen und immer fröhlichen Gastwirt auch heute noch viele Blomberger und Kochkollegen nennen, hat das Hotel-Restaurant am Marktplatz 1965 gepachtet. Da war er 28 Jahre alt. Seine Gäste fanden hier ein gediegenes Ambiente vor: Die Tische fein gedeckt, der Kellner im Frack, und selbstverständlich kam der Küchenchef höchstselbst auf ein Pläuschchen zu den Herrschaften an den Tisch: »Das ist ja leider heute etwas verloren gegangen. Dabei ist dieser persönliche Kontakt zum Gast so unglaublich wichtig«, sagt der erfahrene Gastronom.

Er selbst hat es immer so gehalten. Der gelernte Schlachter, Koch und Hotelfachmann hat immerhin ein Jahr auf See verbracht und Restaurants in aller Welt gesehen, wusste also, was sich gehört fürs »erste Haus am Platze«. Das hat er in den gesamten 21 Jahren niemals anders gehalten: »Natürlich gab es immer Tuchservietten.« Viele Vertreter und andere Geschäftsleute nächtigten hier. »Wir haben jeden Mittag 50 Eisbeine mit Erbsen- und Kartoffelpüree rausgegeben.« Und das zu Zeiten, als die Küchentechnik bei weitem noch nicht so ausgereift war wie heute.

Wild hatte er auch auf der Speisekarte – wie man damit umgeht, hatte er als Schlachter natürlich drauf. Qualitäten, die man auch bei einem seiner besten Kunden, Phoenix Contact, zu schätzen wusste. Dabei war der Elektronikhersteller damals ja noch in seinen lippischen Anfängen. »Die Firmenspitze ist oft bei uns abgestiegen«, erinnert sich der heute 83-Jährige. Unzählige Male hat das Deutsche Haus damals auch die Geschäftspartner im Phoenix-Turm am Flachsmarkt beliefert. »Wir mussten ganz nach oben, aber wir durften nicht den Aufzug nehmen – nur runter«, berichtet der »Fixe« lachend.

Fest stand auch, dass der Firmenchef den Geruch von Lachs partout nicht leiden konnte. »Den haben wir immer sorgfältig abdecken müssen.« Aber der Laden brummte, kamen doch auch die anderen Industriellen ins Hotel-Restaurant am Marktplatz, die Möbelindustrie war damals im Südosten noch gut vertreten.

Gegenüber war der Kaiserhof, eher eine Bierkneipe, und die Burg Blomberg war noch kein Hotel-Restaurant. Auf der Speisekarte im Deutschen Haus stand gute deutsche Küche, nur ab und zu durfte es auch mal etwas exotischer sein, beispielsweise ein asiatisches Steak mit Currysauce oder ein türkischer Fleischspieß. Niemals wurde das Essen direkt auf dem Teller angerichtet, Platten und Schüsseln kamen auf den Tisch, und das Personal legte dem Gast vor seinen Augen vor.

Wer es einfacher und rustikaler haben wollte, ging ins zugehörige Bierstübchen: »Das war eine Goldgrube«, hier gab es Bratwurst zum Bier für 45 Pfennige, hier saß auch gern mal der Stammtisch – und der Chef mittendrin. Ein anstrengendes Leben, auch für die Mitarbeiter. »Die Köche und Auszubildenden wurden damals ja ziemlich schlecht bezahlt, das hat sich glücklicherweise geändert«, sagt Horst Tappe, der sich auch lange im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband engagiert hat.

»Wir hatten sieben Tage die Woche auf«, und da waren ja auch noch all die Hochzeitsfeiern. Ohne seine Frau Anni hätte Horst Tappe all das nicht wuppen können. »Sie hat den Laden vorne geschmissen.« Und natürlich dafür gesorgt, dass alles tipptopp sauber war. Außengastronomie wäre in den Sechzigern im Herzen Blombergs noch nicht denkbar gewesen: »Da wollte doch keiner zwischen all den Autos sitzen.«

Drei Lehrlinge, zwei Köche, zwei Restaurantfachleute und das Chefehepaar: Morgens um vier war die Nacht zu Ende, aber immerhin nachmittags gönnte er sich mal ein Schläfchen, bis es dann abends weiterging. »Wir haben aber auch zugesehen, dass wir mal Urlaub machten.« Gleichwohl stieg die Zahl der Stammgäste, denn der Hausherr hegte und pflegte sie. Der Gast, dem er mal einen Sack gute Heide-Kartoffeln geschenkt hat, vergaß ihm das nie – und brachte seine Freunde mit.

Ist Horst Tappe jemals betuppt worden? – »Eher selten.« Nur ein einziges Mal habe jemand aus einem der Blomberger Ortsteile die Rechnung für eine 6.000 Mark teure Hochzeit nicht beglichen. In der Bierstube sah das schon anders aus: Manch ein Bierdeckel bleib unbezahlt. »Als wir aufgehört haben, hatte ich noch einen großen Stapel. Schwamm drüber«, sagt er und lächelt.

Nur eins hat niemals funktioniert, und das bedauert er bis heute: Obwohl Blomberg als Luftkurort ausgeflaggt war, hat sich niemand um den Tourismus geschert. »Es hieß immer, die schwarze und die weiße Industrie vertragen sich nicht. Ich hielt das damals schon für einen Fehler.« Nach 21 Jahren wollten sich die Besitzer von dem Gebäude trennen, doch die Tappes scheuten die hohen Investitionskosten. »Da war für uns Schluss.« Doch Horst Tappe denkt gern zurück: »Das war eine glückliche Zeit.«

Vom Bier für 45 Pfennige träumt heute sicher mancher noch. Fotos: Marianne Schwarzer